Ron Woodroof zeigt der Welt den Mittelfinger

 

Dallas Buyers Club

dallas-buyers-club-25Kaum zu glauben, aber er ist es wirklich – Matthew McConaughey hungerte sich für seine Rolle als AIDS-kranker Cowboy Ron Woodroof auf unglaubliche 60 Kilo runter. Und nicht nur er. Auch sämtliche Nebendarsteller sind gefährlich abgemagert und nur noch ein Schatten ihrer selbst. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, ob das wirklich sein musste. Einer von vielen Gründen, mal genauer hinzuschauen.

Ron Woodroof (Matthew McConaughey) ist Texaner mit Leib und Seele – Jeansjacke, Cowboyhut und Bullenreiten sind genau sein Ding. Seine zweite große Leidenschaft sind Frauen – der Verschleiß ist immens. Doch sein oberflächlicher und unverbindlicher Lebensstil soll unlängst ein Ende finden, als Woodroof nach einem Arbeitsunfall erfährt, dass er an AIDS erkrankt ist und ihm laut Krankenhaus nur noch 30 Tage zum Leben bleiben. AIDS – eine Krankheit, die Mitte der 80er Jahre nur wenig erforscht ist und Millionen Menschen verunsichert. Woodroof ist außer sich, beschimpft die Ärzte im Krankenhaus und bezichtigt sie der Fahrlässigkeit, denn er ist sich sicher, dass die sich irren müssen. Jeder weiß doch schließlich, dass so etwas nur „Schwuchteln“ bekommen können. Doch irgendwie scheint er sich allmählich einzugestehen, dass mit ihm etwas nicht stimmt und er recherchiert selbst, was es mit dem verhängnisvollen Virus auf sich hat. Entsetzt stellt er fest, dass der Erreger auch bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr übertragen werden kann und davon hatte er, weiß Gott, genug. Verzweifelt versucht er alles, um an das in den USA noch nicht zugelassene und in der Erprobungsphase befindliche Medikament AZT zu gelangen. In Texas gerät er dabei schnell an die Grenzen der Legalität und fährt deshalb nach Mexiko, wo er einen viel wirksameren Medikamentencocktail verabreicht bekommt. Er ist überzeugt, dass sich damit auch in den USA Geld verdienen ließe und ganz nebenbei auch etlichen Menschen geholfen werden könnte. Also macht sich der homophobe Woodroof mit dem Auto voller nicht verschreibungspflichtiger Medikamente und Vitaminpräparate auf den Weg zurück nach Texas und gründet mit Rayon, einer transexuellen und ebenfalls an AIDS erkrankten Krankenhausbekanntschaft (Jared Leto), einen legalen Medikamentenverein – den Dallas Buyers Club. Die Geschäfte boomen, werden jedoch von der FDA (Food and Drug Administration) – Lobyist der Pharmaindustrie, argwöhnisch beobachtet…

dallas-buyers-club-09Dallas Buyers Club ist die brillant erzählte Geschichte eines Sterbenskranken, deren Besonderheit vor allem darin liegt, nicht (wie man ja vermuten könnte) als abgeschmacktes Stereotype-Drama daherzukommen, sondern den Spieß einmal umzudrehen. Der wenig sympathische Woodroof packt sein Schicksal ganz einfach selbst am Schopf und zeigt allen Gegnern und Widrigkeiten den Mittelfinger – eine Botschaft, die ankommt und Respekt verdient. Besonders die Pharmaindustrie bekommt dabei ihr Fett weg. Wenn also das Thema AIDS und dessen Heilung mittlerweile an Brisanz verloren hat, weil die AIDS-Forschung seit 1985 enorme Sprünge gemacht hat, so sind doch die Machenschaften der Pharma- und Wirtschaftslobbyisten und das Thema Schwulenhass umso aktueller. Dallas Buyers Club ist ein ehrlicher Film, der nichts schönt, weder die Charaktere noch die Krankheit und deshalb nachhaltig beeindruckt. An dieser Stelle kommen wir wieder auf die eingangs gestellte Frage zurück: Ist es wirklich notwendig und vertretbar, dass sich Schauspieler wegen eines Films solcher körperlichen Strapazen unterziehen müssen? Eine schwierige Frage, bei der man vernünftiger Weise mit „nein“ antworten müsste. Ich bin jedoch sicher, dass ein Großteil der Authentizität des Films andernfalls verloren gegangen wäre. So oder so – Matthew McConaughey und Jared Leto wurden zurecht für den Oscar als bester Haupt- sowie Nebendarsteller nominiert, denn beide hauen einen förmlich aus dem Kinosessel. Beide sind über die Maßen eins mit ihren Rollen, die mit Sicherheit keine leichten sind. Deshalb muss ich auch meine Meinung zu „The Wolf of Wallstreet“ revidieren. Hier schrieb ich: „Wenn’s dafür [für Leonardo DiCaprios Rolle als Jordan Belfort] immer noch keinen Oscar gibt, weiß ich auch nicht.“ Es tut mir ja sehr leid für Leo, aber ich weiß jetzt, wer daran „schuld“ wäre, wenn er ihn nicht bekäme. Jona Hill kann sich auf jeden Fall schon mal gedanklich vom Oscar verabschieden.   fg

dallas-buyers-club-posterUSA 2013

Produktion: Voltage Pictures

Regie: Jean-Marc Vallée

Schauspieler: u.a. Matthew McConaughey, Jared Leto, Jennifer Garner

Lief an am: 6.2.1014

Genre: Drama

Laufzeit: 117 Min.

„Die Invasion der Camemberts“

Nichts zu verzollen

nichts-zu-verzollen7Wir erinnern uns: Nachdem Willkommen bei den Sch’tis (Originaltitel: Bienvenue chez les Ch’tis) 2010 zum bis heute erfolgreichsten französischen Film im eigenen Land avancierte, erschien 2011 die zweite Kino-Komödie des talentierten Schauspielers und Regisseurs Dany Boon – Nichts zu verzollen (Originaltitel: Rien à déclarer). Nicht nur in Frankreich konnten die Sch’tis dazumal die Massen begeistern, sie wurden auch in Deutschland zum absoluten Publikumsrenner. Ein Grund mehr, endlich auch den „Nachfolger“ mal genauer unter die Lupe zu nehmen und zu untersuchen, ob dessen Stoff den herrlich verschrobenen, aber durch und durch liebenswerten Nordfranzosen das Wasser reichen kann.

Die Zollbeamten Ruben Vandevoorde (Benoît Poelvoorde) und Mathias Ducatel (Dany Boon) mögen einander nicht besonders, um nicht zu sagen überhaupt nicht. Warum? Ganz einfach: Der eine ist Belgier und mit Leib und Seele Nationalist, der andere Franzose und genervt von der Idiotie des engstirnigen „Camembert-Hassers“. Gott sei Dank, gibt es eine klare und eindeutige Grenze mit je einer Zollstation auf jeder Seite, sodass man sich gegenseitig gepflegt aus dem Weg gehen und den Buckel runterrutschen kann. Dumm nur, dass die Grenzen im Zuge der Errichtung des europäischen Binnenmarktes 1993 frei passierbar und sämtliche Zollstationen mehr oder weniger überflüssig werden. Wie grässlich! Zum einen, weil Ruben nun die endgültige „Invasion der Camemberts“ befürchtet und zum anderen, weil ausgerechnet er (zur Bestrafung für seine immerwährenden Anfeindungen mit den französischen Kollegen) und der vorlaute Mathias, der sich im Gegensatz zu Ruben freiwillig meldet, eine binationale Fahndungspatrouille bilden sollen. Schreck lass nach – dem Belgier wird in Anbetracht dieser unumgänglichen Disziplinarmaßnahme heiß und kalt. Mathias hingegen geht ganz gezielt auf Konfrontationskurs, stellt dieser doch einen elementaren Bestandteil seines nicht ganz uneigennützigen Plans dar: Nachdem sich die schöne Louise (Julie Bernard), Rubens Schwester und Mathias‘ große Liebe, schweren Herzens dazu entschließt, sich wegen Ruben und des nicht weniger nationalistischen Rests der Familie von Mathias zu trennen, versucht dieser, sich mit Ruben zu versöhnen und seine Herzallerliebste auf diese Weise zurückzugewinnen. Wie so oft im Leben, ist der Weg das Ziel, der sich in diesem Fall aber nicht ganz einfach gestaltet und so einige skurril-komische Situationen heraufbeschwört…

Nichts zu verzollen trägt unverkennbar Boons Handschrift. Thema sind, wie schon bei den Sch’tis, die Differenzen zweier, auf den ersten Blick verschiedener Menschenschläge, die sich aber doch ähnlicher sind, als sie denken. Auch diese Komödie ist im französischen Norden angesiedelt, nur diesmal sind nicht die Sch’tis das seltsame und eigenbrödlerische Völkchen, das man nur bedauern kann, sondern die im Schatten Frankreichs stehenden Belgier. Diese Verschiebung ist wohl hausgemacht, konnten die Nordfranzosen (und mit ihnen der gebürtige Nord-Pas-De-Calaise Dany Boon) mit der erfolgreichen „Sch’ti-Komödie“ endlich den eigenen Stolz wiedergewinnen und sich emanzipieren. So ist auch die kuriose Übertragung des Sch’ti-Dialektes auf die Belgier zu erklären, die zunächst ein wenig verwundert. Auch in Nichts zu verzollen spielt Boon also mit Klischees, um sie komödiantisch peu à peu aufzulösen. Damit macht er es sich allerdings keineswegs einfach. Einen Rassisten zu bekehren, bedarf naturgemäß einiger Zeit, wenn es überhaupt gelingt, weswegen sich der Film (gefühlt) auch etwas in die Länge zieht. Das Ausloten dieser Nuancen ist Boon dennoch gut gelungen, denn eine zu schnelle Abkehr von Rubens Prinzipien wäre unglaubwürdig und geschönt. Gegen Ende wird die Komik durch einen sehr ernsten Moment durchbrochen, der aber nicht fremdkörperhaft anmutet. An Charme, Witz und Unterhaltsamkeit fehlt es der Boon’schen Komödie auf jeden Fall nicht.

Alles in allem orientiert sich Nichts zu verzollen in der Grundidee sehr an Willkommen bei den Sch’tis und ist sicher keine filmische Innovation. Dennoch ist die Komödie gelungen, wenn auch ein klein wenig langatmig. Wer Dany Boon und seinen außerordentlichen Humor jedoch schätzt, sollte ruhig mal einen Blick riskieren.

Nichts_zu_verzollenFR 2011

Produktion: Prokino

Regie: Dany Boon

Schauspieler: u.a. Dany Boon, Benoît Poelvoorde, Julie Bernard

Lief an am: 28.07.2011

Genre: Komödie

Laufzeit: 108 Min.