Schlimmer geht’s nimmer

Sneak Preview: Wild Tales – Jeder dreht mal durch!

grolschfilmworks.com
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Erst einmal hallo alle miteinander im neuen Jahr! Wir hoffen, ihr seid gut reingerutscht und habt das große Fressen gut überstanden. Auch wir sind nach zweiwöchiger Pause wieder am Start und beginnen das Jahr gleich mal mit einer Blog-Neuerung, denn ab sofort gibt es hier mehr oder weniger regelmäßig Sneak Preview-Reviews (was für ein entsetzliches Wort!). Die Sneak-Preview ist ’ne coole Sache, die ich erst im Dezember für mich entdeckt habe. Überraschungsfilm + Film vor allen anderen sehen = Megathrill. Noch dazu musste ich für meine erste Sneak Nullkommagarnix bezahlen, denn 2014 war gewinntechnisch MEIN Jahr – schon die zweite Kinokarte in Folge. Aber ich gebe zu, es ging nicht übers Losverfahren, sondern über Schnelligkeit. Na ja, und viel Konkurrenz hatte ich außerdem nicht. Die ersten fünf Leutchen, die im Vorfeld der jüngsten Sneak Preview im Kino meines Vertrauens ihren Tipp abgegeben haben, hatten automatisch eine Freikarte sicher und juchu, ich war die erste Tippgeberin. Gut, mein Tipp war falsch – Frau Müller muss weg wurde nicht gespielt, aber dafür ein anderes feines Sahnestückchen des schwarzen Humors, nämlich die argentinisch-spanische Thriller-Komödie Wild Tales – Jeder dreht mal durch! (Originaltitel: Relatos salvajes). Und weil ich über Weihnachten und Neujahr diesmal wirklich faul war und der Film schon ab morgen offiziell in den Kinos läuft, mache ich jetzt mal fix, höre auf zu schwadronieren und beginne mit dem Wesentlichen.

Erzählt werden sechs von einander unabhängige, kleine Episoden, die jedoch alle eines gemeinsam haben: Sie sind hochgradig fies und trotzdem saukomisch. Es geht um Unmenschlichkeit, die im Grunde auch nur menschlich ist und nicht zuletzt um Murphy und sein verdammtes Gesetz, dass all das, was man nicht für möglich hält und grade überhaupt und gar nicht gebrauchen kann, selbstverständlich genau dann eintritt. Ob mitten in der Pampa liegengeblieben, vom Abschleppdienst gebeutelt oder frisch vermählt und schon betrogen – der Film bietet so einiges für die Nerven und Lachmuskeln. Mehr möchte ich gar nicht verraten, denn aufgrund der Kürze der Geschichten wäre der Spoiler nicht weit.

Wild Tales – Jeder dreht mal durch! ist ein in jeder Hinsicht seltener Film: selten fies, selten abgedreht und komisch, selten episodisch und in der Kombination aus all dem selten außergewöhnlich. Ebenfalls selten sind argentinische Filme auf deutschen Leinwänden – schön, auch mal etwas aus dieser Ecke der Welt im Kino anschauen zu können. Dort drehen sich die Uhren aber nicht etwa anders herum, weit gefehlt, der Argentinier scheint dem Deutschen ähnlicher zu sein (oder umgekehrt), als man zunächst vermuten mag. Nichts da mit chilliger Gleichmütigkeit und südamerikanischem Laissez-Faire – zumindest der „Wut-Pegel“ ist der gleiche, was doch irgendwie beruhigend ist. Mächtiger als hierzulande ist andernorts jedoch die Korruption und die Willkür des argentinischen Staates, der hier ordentlich einen hinter die Löffel bekommt. Wer die Abwechslung sucht und mal ein besonderes Kinohighlight abseits der üblichen  Sehgewohnheiten erleben möchte, sollte sich alsbald ins Kino begeben.   fg

wild-tales-posterAR/ ES 2014

Produktion: El Deseo, Prokino Filmverleih

Regie: Damián Szifron

Schauspieler: u.a. Ricardo Darín, Oscar Martinez, Leonardo Sbaraglia, María Marull

Läuft an am: 08.01.2015

Genre: Thriller-Komödie

Laufzeit: 122 Min.

Beginnendes Bewusstsein

Im Labyrinth des Schweigens

Quelle: moviepilot.de
Quelle: moviepilot.de

Es gibt viele Filme und auch Serien über Deutschlands dunkelste Vergangenheit. Meist behandeln sie das Leben im Ghetto oder KZ (Jakob, der Lügner, 1974; Der Pianist, 2002; Der junge im gestreiften Pyjama, 2008), die Flucht vor den Nationalsozialisten (Das siebte Kreuz, 1944; Victor Klemperer – Ein Leben in Deutschland, 1999), die Gehirnwäsche in Nazideutschland (Napola – Elite für den Führer, 2004) oder zeigen die wenigen Menschen, die in einer Zeit kalten Hasses und nackter Angst Solidarität gezeigt haben (Sophie Scholl, 2005; Schindlers Liste, 1993). All diese medialen Zeugnisse sind ohne Frage wichtig und unabdingbar. Wie aber war das Bewusstsein der Menschen in den 1950er Jahren, 10 Jahre nach den Gräueltaten Hitlers und seiner Gefolgschaft – als es mit der deutschen Wirtschaft wieder bergauf ging und man wieder von einem geregelten Alltag der Menschen sprechen konnte? Genau dieser Frage geht Giulio Ricciarelli in seinem Film Im Labyrinth des Schweigens auf den Grund und thematisiert, auf einer wahren Begebenheit basierend, gleichwohl die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitzprozesse, die erst in den 60er Jahren zu einem Abschluss kamen.

Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling) arbeitet noch nicht lange am Frankfurter Gericht, als plötzlich ein Journalist namens Thomas Gnielka (André Szymanski) auftaucht, der einen ehemaligen Wärter in Auschwitz anzeigen will. Sein Freund Simon Kirsch (Johannes Krisch) hat ihn als Lehrer auf einem Schulhof wiedererkannt. Staatsanwalt Walter Friedberg (Robert Hunger-Bühler) will davon nichts hören und schmeißt den Journalisten hochkant raus. Der unbedarfte, weil noch sehr junge Johann Radmann hingegen wird stutzig und will der Sache genauer auf den Grund gehen. Dazu bekommt er Rückendeckung von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss) und begibt sich kurzerhand auf die Suche nach Tätern und Opfern, die als Beweise für die Verbrechen in Auschwitz herangezogen werden können. Dabei ist ihm jedoch noch nicht klar, um welche Art von Verbrechen es sich handelt. Es erweist sich auch als äußerst schwierig, an die entsprechenden Akten zu gelangen, denn selbst die amerikanischen Behörden, die alle Akten mehr oder weniger gut archiviert haben, stellen sich zunächst quer. Als es Radmann schließlich aber doch gelingt, Einblick in die Akten zu erhalten, offenbart sich ihm das ganze Ausmaß der Schandtaten im dritten Reich. Mit Entsetzen begreift er, was eigentlich nicht zu begreifen ist: Eine ganze Nation ist verantwortlich für diese bis dato unaussprechlichen Verbrechen. Radmanns erklärtes Ziel ist sämtliche Auschwitz-Funktionäre endlich dingfest zu machen und ein völlig neues Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen. Eine jahrelange Sisyphusarbeit beginnt, bei der er immer wieder an seine Grenzen stößt.

Ricciarelli gibt eine ganz andere Sicht auf die Dinge, eine, die über das übliche Schulwissen hinausgeht. Denn was hat man damals im Unterricht gelernt? Da war die Rede von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, die bis heute als vorbildhaft gelten, aber doch nur exemplarisch sind. Bei diesen so berühmten Prozessen wurde ja lediglich Hitlers oberstes Gefolge an den Pranger gestellt und verurteilt, nicht aber die vielen „kleinen“ Leute, die in Auschwitz ihr Unwesen trieben. Und auch mit deren Verhaftung war die Sache natürlich noch lange nicht gegessen. Im Labyrinth des Schweigens zeigt eindrücklich, wie der Prozess der Vergangenheitsbewältigung Mitte der 50er Jahre neu ins Rollen gebracht wurde und dass wir es wahrscheinlich Johann Radmann, verkörpert durch den exzellenten Alexander Fehling, zu verdanken haben, dass in der Bevölkerung endlich ein neues Bewusstsein abseits der heilen Welt zu entstehen begann. Mit diesem Bewusstsein leben wir heute ganz selbstverständlich, nämlich nicht zu verdrängen, sondern zu erinnern, um einer Entwicklung wie damals entgegenwirken zu können und solch menschenfeindlichem Gedankengut niemals wieder Raum zu geben. Das Labyrinth des Schweigens ist ein hervorragender, feinstens ausnuancierter Historienfilm, den es sich in jedem Fall anzuschauen lohnt.  fg

Quelle: moviepilot.de
Quelle: moviepilot.de

DE 2014

Produktion: Universal Pictures Germany

Regie: Giulio Ricciarelli

Schauspieler: u.a. Alexander Fehling, Gert Voss, Johannes Krisch

Lief an am: 06.11.2014

Genre: Historiendrama

Laufzeit: 123 Min.