Ehe ich auf das eigentliche Thema komme, muss ich zunächst etwas ausholen. Der 24. Juni 2016 liegt noch nicht lange zurück und mit ihm nahm die grauenhafte Sprachneuschöpfung „Brexit“ neue, endgültige (?) Formen an. Die Briten haben sich selbst ins Aus geschossen – bitter für einen Kontinent, deren Staaten sich vormals im Zeichen des Friedens zusammengeschlossen haben. So weit, so ungut. Über die laschen Regelungen und unzähligen Gesetzeslücken kann man natürlich zurecht diskutieren, vielleicht ist die EU auf einem so wagen Fundament zwangsläufig zum Scheitern verurteilt, aber die bloße Idee von einem geeinten Europa war und ist doch keine schlechte. Wenigstens die jungen Briten haben inzwischen scheinbar das Denken angefangen. Ob das was nützt? Man weiß es nicht. Die alten bleiben wahrscheinlich unbelehrbar. Es braucht nicht viel, um eines mit ziemlicher Sicherheit prognostizieren zu können: Die Gewinner dieser Misere sind schon heute die Populisten. In Deutschland haben sie sich vor geraumer Zeit das nette Kürzel AFD gegeben. Und das steht ja bekanntermaßen nicht für die „Alternative für Dackel“ (Extra 3). Schön wär’s. Aber wem muss ich das dieser Tage noch erklären. Irgendwie sind diese seltsamen, mit gruseligen Parolen um sich schmeißenden „Alternativen“ kaum mehr abwaschbar.Soweit der Stand der Dinge. Verständnislos sehe ich mit an, wie sich tausende Menschen für eine Partei begeistern, die alle Werte, für die ich einstehe, zertrampelt. Gezeichnet durch Jahre intensiven Geschichtsunterrichts, meine alte Heimat, in der Neonazis schon seit ich denken kann, mehr oder weniger ein Thema sind und meine derzeitige Wahlheimat, in der es eigentlich auch nicht anders aussieht, die das Problem nur besser zu kaschieren versteht, durch all das bin ich es eigentlich langsam leid, mich immer wieder mit dem Thema Rechtspopulismus beschäftigen zu müssen. Gleichzeitig werde ich aber auch nicht müde, mich dem braunen Gedankengut zu widersetzen. In Gesprächen oder eben hier. Aus Geschichte sollte man lernen und dazu muss man kein Gutmensch sein.
Es gibt mit Sicherheit eine Tonne Filmmaterial, die sich mit der immer noch nicht verjährten deutschen Vergangenheit auseinandersetzt. Vieles davon habe ich gesehen. Filme über die ernüchternde Gegenwart gibt es hingegen noch nicht so viele. Der Leipziger Independentfilm Der schwarze Nazi greift das aktuelle Geschehen rund um Höcke und Co. in einer eher ungewöhnlichen Art und Weise auf. Es geht um den Afrikaner Sikumoya, der vor Jahren als kongolesischer Flüchtling nach Deutschland gekommen ist und nun, um nicht ausgewiesen zu werden, die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen muss. Er liebt die deutsche Kultur, sieht sich jedoch immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, sich nicht genug anzupassen. Er wird in Bahn und Bus angeschaut, Vorurteile und Vorbehalte schlagen ihm entgegen, ohne dass es vieler Worte bedarf. Die logische Konsequenz wäre, sich mehr und mehr von all dem zu distanzieren, Sikumoya wählt den entgegengesetzten Weg. Penibel studiert er das vermeintliche Deutschtum, im Kampf um Anerkennung und Zugehörigkeit – bis er an einem entlegenen Ort von einer Gruppe Nazis zusammengeschlagen wird. Als er im Krankenhaus erwacht, ist er ein anderer, denkt wie die verhassten Angreifer und wird sogar Mitglied ihrer Partei, der NPO (Nationale Partei Ost). Nachdem die Rädelsführer merken, dass sich Sikumoya wunderbar als „Integrationsbeauftragter“ für gute PR machen würde, wächst die Akzeptanz für den Fremden in ihren Reihen mehr und mehr. Doch Sikumoya handelt ja aus Überzeugung, weiß außerdem mehr über Deutschland als so mancher „richtige Deutsche“ und entlarvt seine Kameraden auf diese Weise als nicht deutsch genug.
Um uns herum passiert gerade so viel absurdes, da war eine Filmgroteske wie Der Schwarze Nazi wirklich mal überfällig. Eine Genugtuung. Das Projekt der beiden Leipziger Regisseure Tilman und Karl-Friedrich König war sicher kein einfaches Unterfangen, finanziert wurde es überwiegend durch Crowdfunding und mit Hilfe netter Sponsoren. Dass Menschen nach wie vor etwas bewegen und ein Zeichen setzen wollen, ist wunderbar. Leider läuft der Film nur in ausgewählten Städten an wenigen Tagen. Wer jetzt Lust hat, ihn sich noch anzusehen, sollte mal auf www.derschwarzenazi.de/termine. Hier kann man Spielzeiten und Termine einsehen.
DE 2016
Produktion: Cinemabstruso
Regie: Tilman und Karl-Friedrich König
Schauspieler: u.a. Aloysius Itoka, Judith Bareiß, Chris Weber
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nahe liegt? – habe ich mir gedacht und meinen diesjährigen Sommerurlaub in heimische Gefilde verlagert. „Heimische Gefilde“ heißt in meinem speziellen Fall Brandenburg (weil ich von dort stamme) und Mecklenburg-Vorpommern (weil ich die Ostsee in- und auswendig kenne). Im Falle meines Freundes bedeutet Heimat Sachsen und Sachsen-Anhalt. Sachsen musste „draußen bleiben“, weil wir uns dort schon sehr gut auskennen. Trotzdem haben wir damit fast den ganzen Osten abgedeckt. Natürlich kann man in zwei Wochen unmöglich all diese Bundesländer in Gänze bereisen, also haben wir uns ein paar Punkte rausgepickt – nach unterschiedlichen Kriterien.
Unsere Reiseroute startete in Senftenberg (Niederlausitz), meiner Heimatstadt – ein guter Ausgangspunkt für alles Weitere. Von hier aus fuhren wir zunächst gen Norden nach Neuruppin (2 Nächte), anschließend ein Stück weiter Richtung Nordosten nach Neustrelitz (1 Nacht), dann in den hohen Norden nach Kückenshagen/ Darß (4 Nächte), im Anschluss darauf wieder etwas Richtung Süden nach Schwerin (3 Nächte) und abschließend nach Wittenberg (2 Nächte). 5 Stationen in 12 Tagen ist ehrgeizig, zumal ja auch immer noch 1-2 Stunden Anfahrtszeit mit eingerechnet werden mussten, aber auf einen Versuch kam es an. Um all das Erlebte noch einmal Revue passieren zu lassen und vielleicht auch ein paar neue Anregungen zu geben, möchte ich euch ein bisschen darüber berichten.
Weil sich endlose Reiseberichte nur sehr zäh lesen, teile ich meinen in 5 Teile. So kann auch ich noch etwas länger in Erinnerungen schwelgen. Heute nehme ich euch mit zur ersten Station, der Schinkel- und Fontane-Stadt Neuruppin.
Station 1:Neuruppin
Nachdem wir es uns zunächst noch bei meinen Eltern bequem gemacht haben, sind wir am Nachmittag des ersten Tages Richtung Norden aufgebrochen. Warum überhaupt Neuruppin? Ich war schonmal beruflich in dieser schönen kleinen Stadt und wollte einfach noch mal hin bzw. wollte, dass meine bessere Hälfte sieht, wovon ich da immer geschwärmt habe. Dazu kommt, dass Brandenburg sozusagen in zwei Lager gespalten ist: Die, die im Süden wohnen und sich im Norden – gemeint ist hier die „Wildnis“ oberhalb von Berlin (Havelland, Prignitz, Uckermark etc.) – nicht auskennen und das Nachbarbundesland Sachsen besser kennen als das eigene, und in die, die eben von dort oben kommen und für die alles unterhalb des Hauptstadtäquators dreckiger, staubiger Tagebau ist. Natürlich ist das ein bisschen zugespitzt, es dürfte sich mittlerweile doch rumgesprochen haben, dass bei uns kaum noch Bagger fahren und überall ganz tolle Seen entstanden sind, eine Urlaubsregion sind wir für den „Norden“ aber deshalb noch lange nicht. Wieso auch, wenn man selbst ungefähr an die tausend Seen vor der Haustür hat und die Ostsee nur einen Katzensprung entfernt ist. Umgekehrt gilt ähnliches. Seen und schöne Landschaften hat man als Südbrandenburger genug, wenn man schon in den Norden fährt, dann richtig und gleich ans Meer. Wir wollten also mit der Wahl unserer ersten Station auch ein bisschen zur Völkerverständigung beitragen.
Untergebracht waren wir im Luisenhof in Molchow – einem Angerdorf nur wenige Kilometer vom Stadtkern entfernt. Ein echter Geheimtipp für alle Ruhesuchenden und Wassersportbegeisterten unter euch. Die Ferienwohnungen befinden sich in einer alten Scheune, die direkt an der natürlichen Verbindung zwischen den beiden länglichen Seen Molchowsee und Tetzensee liegt und über einen herrlichen Garten mit eigener Bade- und Anlegestelle für Kanus und Kleinboote verfügt. Überhaupt hat dort jedes Haus auch eine eigene Anlegestelle. Ein Traum. Traumhaft ist auch, dass der Besitzer der Ferienwohnungen Fahrräder und Kanus jedem Gast kostenlos zur Verfügung stellt. Habe ich auch noch nicht erlebt. Der Besitzer selbst wohnt im Haus vor der Scheune – einem typischen traufständigen Wohngebäude mit klassizistischer Schaufassade, wie man es so fast nur auf den Dörfern in Nordbrandenburg findet. Die Atmosphäre ist familiär (auch ein paar Hausziegen gehören zu den Hofmitbewohnern), trotzdem ist man für sich und die Wohnungen sind modern und wirklich top ausgestattet.
Leider waren wir zu kurz da, um Kanu zu fahren, aber wir haben die Fahrräder genutzt und sind mit ihnen nach Neuruppin geradelt. Die beiden Seen, von denen ich gesprochen habe, münden weiter südlich in den ebenfalls schlauchförmigen Ruppiner See, an dem – Überraschung – Neuruppin liegt. Dort angekommen, haben wir uns erstmal einen Überblick über die Stadt verschafft. Man kann alles zu Fuß erlaufen, gar kein Problem. Wer mit dem Auto in die Stadt will, findet schnell einen Parkplatz. Am besten, man parkt in der Schinkelstraße neben dem Kirchplatz (St. Marien) mit dem Schinkel-Denkmal. Das klingt verwinkelt, ist es aber gar nicht. Im Gegenteil, wer die Stadt zum ersten Mal sieht, ist erstaunt über die vielen weitläufigen Plätze, stattlichen Häuser und das rechtwinklig angelegte Straßennetz. Genau darin besteht Neuruppins Besonderheit. In Folge eines verheerenden Flächenbrandes im Jahre 1787, der nahezu alle mittelalterlichen Strukturen dem Erdboden gleichgemacht hat, entstand in 15 Jahren Wiederaufbau eine einheitlich geplante Stadt im frühklassizistischen Stil, die bis heute als Musterbeispiel klassizistischer Städtebaukunst gilt. Die Stadt lädt geradezu zum Schlendern und Verweilen ein und man fühlt sich dabei schnell an das schöne Potsdam erinnert.
In der Siechenstraße und anderen Teilen des sog. Seeviertels nahe der Seepromenade bekommt man ein Gefühl dafür, wie es in Neuruppin vor dem Brand einmal ausgesehen haben muss. Hier sind vor allem das Siechenhospital und Teile der ehemaligenStadtmauer und Klosterkirche St. Trinitatis erhalten geblieben.
Wenn von Neuruppin die Rede ist, dürfen auch die zwei großen Söhne der Stadt nicht unerwähnt bleiben. Das ist zum einen Theodor Fontane, ein bedeutender Vertreter des poetischen Realismus‘ (* 30.12.1819 in Neuruppin, † 20.09.1898 in Berlin), der dem gemeinen Brandenburger von heute selbstverständlich ein Begriff ist, weil er mit „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ eine Art Reiseführer und Liebeserklärung an die Heimat verfasst hat. Jedes Kind kommt früher oder später mit Fontane in Berührung, da geht im Sach- und Heimatkundeunterricht kein Weg dran vorbei. Aber auch über die Grenzen Brandenburgs hinaus dürften Fontane und seine unzähligen Romane, Novellen und Erzählungen bekannt sein. Nummer zwei in der Runde der wichtigsten Persönlichkeiten Neuruppins ist Karl Friedrich Schinkel (* 13.03.1781, † 09.10.1841). Unter Architekten, Kunsthistorikern und Denkmalpflegern wird er als eine Art Gott verehrt, weil er das architektonische Erscheinungsbild Preußens wie kein zweiter geprägt hat. Als wahres Multitalent entwarf er meisterhaft schöne Gebäude wie das Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, die Friedrichwerdersche Kirche (ebenfalls in Berlin) oder die Römischen Bäder in Potsdam. Außerdem war er Maler, Designer, Bühnenbildner, Architekturtheoretiker… und verwies als einer der ersten Denkmalpfleger darauf, wie wichtig es ist, Vergangenes zu bewahren und nicht , wie zu seiner Zeit noch durchaus üblich, historische Gebäude entweder „schönzusanieren“ oder verfallen zu lassen. Maßgeblich geprägt wurde Schinkel durch seine Kindheit, in der er den Wiederaufbau seiner Heimatstadt Neuruppin intensiv miterlebte. Was dem Bayer Balthasar Neumann, das ist dem Preußen Karl Friedrich Schinkel.
Wenn ich schon bei großen Persönlichkeiten bin: Auch der „Alte Fritz“(damals noch Kronprinz Friedrich) fühlte sich als Regimentskommandeur in Neuruppin so wohl, dass er im Norden der Stadt einen Garten, damals benannt nach Amalthea – einer griechischen Nymphe, deren abgebrochenes Horn als „Füllhorn“ für den reichen Überfluss steht – anlegen ließ. Heute heißt der auf den Wallanlagen errichtete Garten einfach „Tempelgarten„, denn 1735 ließ Kronprinz Friedrich von seinem Freund Wenzeslaus von Knobelsdorff im Zentrum des Gartens den Apollotempel erbauen.
Besonders schön ist der Garten aber vor allem wegen seiner orientalisch geprägten Architektur im Süden der Anlage. Hier ließ die Kaufmannsfamilie Gentz, die das Areal Mitte des 19. Jahrhunderts kaufte, eine türkische Villa, eine Umfassungsmauer mit orientalischer Formensprache und eine Remise mit stilisiertem türkischen Minarett erbauen. Heute befindet sich in der Villa ein Restaurant mit Café, das für gewöhnlich auch geöffnet ist, bei unserem Besuch jedoch Ruhetag hatte. Trotzdem haben wir uns ziemlich lange im Tempelgarten aufgehalten, weil der Ort etwas Magisches hat – ein Hauch von Tausendundeiner Nacht inmitten klassizistischer Bauten.
Ein Vermerk am Rande: Sehenswert sind u.a. auch die Kulturkirche, das Alte Gymnasium, die Alte Feuerwache, das Fontane-Denkmal und natürlich das Schinkel-Denkmal.
Ein bisschen was essen muss man neben all der Kultur im Urlaub aber auch. Weil das Restaurant im Tempelgarten geschlossen hatte, haben wir uns umorientiert und sind dabei auch fündig geworden. Empfehlen kann ich zum einen Theos Steakhouse – direkt am Bernhard-Brasch-Platz gelegen, gibt es hier sehr frisches und leckeres Essen (auch für Vegetarier und „Wenigfleischesser“ geeignet) – zum anderen das Restaurant im Resort Mark Brandenburg – hier ist es zwar ein bisschen teurer und das Personal wirkte an diesem Tag etwas gestresst, dafür schmeckt der Fisch wirklich ausgezeichnet und die Marinaden sind einmalig. Nach dem Essen sollte man sich in der LUNA LOUNGE zwei Straßen stadteinwärts auf jeden Fall noch einen „Cocktail To Go“ holen (wahlweise kann man es sich dort auch drinnen oder draußen bequem machen) und am Rande des Ruppiner Sees den Abend genießen.