Ein dreistündiger Exzess

The Wolf of Wall Street

wolf-of-wall-street-30Nach meinem samstägigen Besuch im Kino bin ich noch immer ziemlich geplättet von dem, was sich mir dort bot. Scorseses neuester Coup ist länger als lang, zumal ohne Pause, doch dafür habe ich den dreistündigen Leinwandexzess erstaunlich gut verkraftet. Aber zunächst wie immer erstmal ein kurzer Einblick ins Geschehen.

Der Normalo Jordan Belford (Leonardo DiCaprio) ist, man muss es ja nicht schöner reden als es ist, ungemein geldgeil und materialistisch und versucht im New York der 80er Jahre aus eben diesem Grund sein Glück als Broker an der Börse. Schon der erste Tag als Hilfskraft imponiert ihm so dermaßen, dass er den Hals in Zukunft nicht mehr voll kriegen wird. Nach dem Börsencrash von 1987 muss er sich neu sortieren, doch als Schuster bleibt er bei seinen Leisten und verkauft nun in einem schäbigen kleinen Maklerbüro auf Long Island Schrottpapiere an die gutgläubige Arbeiterschicht. Schnell mausert er sich dort zum besten und skrupellosesten Broker und beschließt, mit dem sehr einfach gestrickten Donnie Azoff (Jonah Hill), den er erst kurz zuvor kennenlernt, die eigene Brokerfirma zu gründen: „Stratton Oakmont“. Die Geschäfte laufen blendend, denn Belford weiht die Kollegen früh in seine fragwürdigen, wenngleich wirkungsvollen Verkaufsstrategien ein, sodass sich die Firma im Nu zu einem Unternehmen von beträchtlicher Größe entwickelt und wöchentlich Millionen „erwirtschaftet“. Belford, dessen Erfolg in aller Munde ist und der in der Presse gemein hin als „The Wolf of Wallstreet“ bezeichnet wird, lebt fortan in Saus und Braus – Angefixt vom vielen Geld, feiert er eine Party nach der anderen, konsumiert Drogen wie Smarties und vergisst dabei mehr als einmal seine guten Manieren. Seine erste Ehefrau schießt er kurzerhand ab, es gibt schließlich noch Besseres auf dem Markt, wie z.B. die überaus schöne Naomi (Margot Robbie) und hey, Treue wird sowieso überbewertet. Wie soll man den schweren Alltag als Börsenmakler oder vielmehr Großkrimineller dennn sonst auch überstehen?! Geldwäsche und Wertpapierfälschung müssen schließlich gut durchdacht sein und bei so viel strategischem Kopfzermartern sei einem das bisschen Unzucht ja wohl gegönnt. Doch der sechsstellige Umsatz pro Woche bleibt natürlich nicht unbemerkt und ruft schnell das FBI auf den Plan. „Geld regiert die Welt“, denkt sich Belford und versucht die Agenten zu bestechen, muss aber mit Erstaunen feststellen, dass längst nicht jeder auf dieser Welt käuflich ist. Also muss eine neue Lösung her, sie beginnt mit „SCH“ und endet mit „WEIZ“…

Eines muss man Scorsese auf jeden Fall lassen: Er hat mit The Wolf of Wall Street einen durchaus kontroversen, auf wahren Begebenheiten basierenden Film geschaffen, der aber leider nur wenig kontrovers diskutiert wird. Im Gegenteil, der Hype ist riesig, kaum hört man mal wirklich kritische Stimmen zum Thema. Vielleicht auch, weil sich angesichts der mehrfachen Oscarnominierung keiner so recht traut oder weil das Publikum vorwiegend männlich ist…oder beides. Ich bin, weiß Gott, nicht prüde, aber ich habe so meine Schwierigkeiten mit dem Film. Sprachlich scheint er sich weitestgehend an der Teeniekomödie Superbad (2007) zu orientieren und das ist kein Kompliment. Sicherlich ist es stellenweise sehr witzig, den absurden Gesprächen und Eskapaden beizuwohnen, die der Realität an der Börse wahrscheinlich auch sehr nahe kommen. 180 Minuten Sex, Drugs und gefühlte 500 „Fucks“ sind mir jedoch einen Ticken zu viel des Guten. Spätestens ab der 135. Minute habe ich mir das Ende allmählich herbeigesehnt, weil es im Grunde nicht mehr viel zu erzählen gab und sich die Exzesse mehr und mehr in die Länge zogen. Auch die durchweg frauenfeindlichen Darstellungen gingen mir irgendwann ziemlich auf die Nerven. Übertreibung als Stilmittel ist ja nichts neues, hat für meinen Geschmack aber auch seine Grenzen. Natürlich ist The Wolf of Wallstreet keine Homage an das überbordende Leben und die Dekadenz, sondern ein zynischer Versuch, die schräge Börsenwelt so darzustellen wie sie eben ist: schnelllebig, oberflächlich und obszön. Ob der Versuch jedoch gelungen ist, fällt mir schwer zu beurteilen. Erstens, weil ich finde, dass das verherrlichende Moment trotz allem Zynismus‘ überwiegt und zweitens, weil ich den Eindruck habe, dass der Film von der Mehrheit der Zuschauer nicht zwangsläufig als Gesellschaftskritik verstanden wird, sondern vielmehr als Fun-Movie. Das blöde Gegröle und von Stunde zu Stunde zunehmend sinkende Niveau im Kinosaal lassen jedenfalls darauf schließen. Und diese Art von Popularität finde ich zweifelhaft. Den Gedanken könnte man noch weiterspinnen und sich fragen, ob der Film seine Wirkung in der breiten Masse nicht eventuell sogar verfehlt hat, was die Oscarwürdigkeit in der Kategorie „Bester Film“ wohl mehr als in Frage stellen würde. Oder ist eben diese Irreführung die besondere Raffinesse des Films? Auf keinen Fall in Frage steht zumindest die Oscarwürdigkeit Leonardo DiCaprios, ohne den hier gar nichts laufen würde. Allein er schafft es, aus der mageren Story ein exzentrisches Epos zu schaffen, das trotz der immer gleichen, sich wiederholenden Idee auf die Gesamtlänge bezogen kaum langweilt, und aus den sonst eher mittelmäßig ausgereiften Charakteren hervorzustechen. Seine Rolle bietet die gesamte Palette an Emotionen, die er alle mit äußerster Bravour zu zeigen vermag. Dafür mein Respekt! Jonah Hills Oscarnominierung kann ich hingegen nicht so ganz nachvollziehen, denn er spielt seine Rolle wie gewohnt wenig innovativ und hat sich seit Superbad sowohl sprachlich als auch dramaturgisch kaum weiterentwickelt. Es wundert mich überhaupt nicht, dass er für die Rolle des trotteligen Donnie Azoff ausgewählt wurde.

Man ahnt es schon: Eine klare Sehempfehlung kann ich nicht aussprechen, weil mich der Film insgesamt einfach nicht überzeugen konnte. Als Leo-Fan sollte man The Wolf of Wallstreet aber vieleicht mal gesehen haben.

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Produktion: Appian Way

Regie: Martin Scorsese

Schauspieler: u.a. Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Matthew McConaughey

Lief an am: 16.01.2014

Genre: Biopic

Laufzeit: 180 Min.


Licht am Ende des Steges

Der große Gatsby [DVD/Blu-ray]

FL01_010.jpgDas epochale literarische Meisterwerk Der große Gatsby (Original: The Great Gatsby) von F. Scott Fitzgerald ist Gegenstand der gleichnamigen Neuverfilmung von Baz Luhrmann und gehört zu einem der bedeutendsten Novellen der amerikanischen Moderne. Doch worum geht es da eigentlich genau? Die Geschichte spielt in den 1920ern, während der Goldenen Ära in New York, genauer gesagt auf Long Island. Hier leben die reichen und neureichen durch eine Bucht voneinander getrennt. Man mag sich nicht besonders. Der einst mittellose, aber durch gut laufende Geschäfte mittlerweile sehr wohlhabende Jay Gatsby hat sich im Neureichenviertel West Egg niedergelassen und das aus gutem Grund. Seine selbst entworfene Villa ließ er genau gegenüber seiner großen Liebe Daisy Buchanan erbauen, die mit Mann und Kind inzwischen in East Egg residiert. Von seinem Steg aus kann Gatsby das grüne Licht am gegenüberliegenden Steg genau beobachten – das Sinnbild seiner Sehnsucht nach Daisy. Er veranstaltet Partys, die einem Vergnügungspark gleich kommen und wie ein „kaleidoskopischer Karneval“ anmuten, einzig in der Hoffnung, Daisy wiederzusehen. Nick Carraway, Daisys Cousin, führt als Erzähler durch die Novelle, denn er ist nebenbei auch Gatsbys Nachbar und sein einziger Freund. Er hilft Gatsby dabei, seiner großen Liebe wieder näher zu kommen und muss mit der Zeit erkennen, wie selbstsüchtig, arrogant und vor allem leichtfertig diese Gesellschaft ist, mit der er sich tagtäglich umgibt. Der Held des Romans ist zweifelsohne Gatsby, dessen Taten und Wirken sich nur aus einem Motiv begründen. Liebe. Der Liebe zu Daisy. Und das macht ihn in diesen Kreisen zu etwas Seltenem.

Luhrmanns Gatsby beindruckt durch bombastische Bilder, wilde Kamerafahrten, dramatische Slowmos und Time Lapse und basslastige Discosounds à la Beyoncé und Jay-Z. Das mag nicht jedem gefallen. Zu viel Pomp und Protz, Unnatürlichkeit und Aufgeblasenheit wird dem Film nachgesagt. Auf den ersten Blick nichts für den anspruchsvollen Kinogänger mit Hang zum Tiefsinn. Auf den zweiten aber durchaus. Ist es nicht genau das, was die vielverfilmte und sagenumwobene Novelle von F. Scott Fitzgerald zu vermitteln vermag? Von Natürlichkeit und Mäßigkeit ist da kaum die Rede. Thema des Klassikers ist genau dieser Missstand – die Widersprüchlichkeit des „American Dream“. Sicherlich treibt Luhrmann die Dekadenz der New Yorker Upper Class der 20er Jahre szenisch und musikalisch auf die Spitze, aber genau hierdurch zeigt sich die grenzenlose Maßlosigkeit dieser Gesellschaftsschicht zu dieser Zeit, wie ich finde. Die Charaktere wirken surreal und wie aus einer anderen Welt – kaum des realistischen Denkens fähig, eingenommen von sich und dem Konsum. Tiefgründige Dialoge wären daher eher fehl am Platz. Nachdenklich macht der Film dennoch oder grade deswegen. Was sich damals in der Welt der High Society niemand auszusprechen traute, bleibt auch im Film unausgesprochen. Große Diskussionen über Sinn und Unsinn der Liebe sowie das Eingestehen von Fehlern oder gar Problemen waren unschicklich und unerwünscht. Die glitzernde Fassade sollte bitteschön glitzern bleiben! Ehebrüche ruinierten den Ruf unwiederbringlich. Zwar gibt sich das reiche Mädchen Daisy (Carey Mulligan), gefühlsbetont und zerbrechlich – was bleibt ist allerdings der Eindruck eines verwöhnten „It-Girls“, dem es ohne Tränen und übertriebenen Weltschmerz schnell langweilig werden würde. Das Hin- und Hergerissensein zwischen ihrem wohlhabenden Mann Tom Buchanan (Joel Edgerton) und ihrer verflossenen, einst mittellosen und nach Jahren plötzlich wieder auftauchenden Liebe Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio) scheint ihr daher gerade gelegen zu kommen. Aber für sie ist das Ganze nur ein Spiel. Für Gatsby hingegen keines. Es scheint so, als wäre Daisy seine große Liebe. Immer wiederkehrende Rückblicke zeigen dies deutlich. Oder ist sie für ihn nur das fleischgewordene Symbol einer „besseren“ Welt, zu der er aufgrund seiner Herkunft nie dazu gehört hat und es trotz schwer errungenem Reichtums auch nie wird, weil er nicht über blaues Blut verfügt? Diese Frage stellt man sich, kann sie allerdings spätestens nach dem durch Daisy verursachten Autounfall, den sich Gatsby ihr zu Liebe  auf seine Kappe schreibt, mit einem Nein beantworten. Die einzig wahre Liebe in diesem Film ist die Freundschaft zwischen Gatsby und Nick Carraway (Tobey Maguire). Letzterer muss ansehen, wie sein Freund ins Verderben rennt. Seine Erzählung über den großen Gatsby schließt er sowohl im Buch als auch im Film mit folgenden legendären Worten:

„Gatsby glaubte an das grüne Licht, an die wundervolle Zukunft, die Jahr für Jahr vor uns zurückweicht. Damals entwischte sie uns, aber was machte das schon? Morgen laufen wir schneller, strecken die Arme weiter aus und einen schönen Tages, so kämpfen wir weiter, wie Boote gegen den Strom. Und unablässig treibt es uns zurück in die Vergangenheit.“

Die DVD enthält drei nicht verwendete Szenen, inclusive eines alternativen Endes mit Gatsbys Vater und einem zufälligen Wiedertreffen von Nick und Tom. Die Sprachen sind Englisch und Deutsch, wahlweise mit Untertiteln. Auch der Soundtrack von Baz Luhrmann, Anton Monsted und Jay-Z, bestehend aus Songadaptionen von Amy Winehouse oder U2, neuinterpretiert von Musikgrößen wie Jack White, Florence and the Machine, Fergie, will.i.am, Lana Del Ray etc. ist sehr zu empfehlen – für mich der beste Soundtrack des Jahres.   fg

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AUS/USA 2013

Verleiher: Warner Bros. GmbH

Regie: Baz Luhrmann

Schauspieler: Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan, Isla Fisher, Joel Edgerton

Laufzeit: ca. 137 Min.

Genre: Drama

DVD-/Blu-ray-Erscheinungsdatum: 20.09.2013