Angst, wo bist du?

Blick in die Angst – Chevy Stevens

IMG_6463Meine Freude war groß, als ich Anfang September endlich Chevy Stevens dritten Thriller „Blick in die Angst“ im Regal der Buchhandlung stehen sah. Da ich „Still Missing – Kein Entkommen“ und „Never Knowing – Endlose Angst“ bereits mein Eigen nennen darf und beide Bücher für gut bis sehr gut befunden habe, habe ich nicht lange gefackelt und ihren neuesten Schmöker mit zur Kasse genommen. Zu Hause habe ich mich dann gleich drüber hergemacht, die Freude hielt allerdings nur die ersten paar Seiten an. Zäh wie ein Kaugummi leitet die Hauptfigur Dr. Nadine Lavoie – Psychaterin im Krankenhaus von Victoria auf Vancouver Island (diesmal steht sie selbst im Mittelpunkt des Geschehens) – in die Geschichte ein. Diese „Einleitung“ zieht sich bis über die Hälfte des Buches. Bis dahin passiert mehr oder weniger gar nichts. Der Leser erfährt von Nadines Kindheit in einer als Hippies getarnten Sekte, mit der sich die Ärztin durch eine Patientin nach langer Zeit wieder konfrontiert sieht. Stückchenweise treten immer mehr unangenehme Erinnerungen an jene Zeit zu Tage, die sie bis dahin verdrängt hatte. Allmählich erklärt sich auch die Klaustrophobie, an der die Psychaterin seit Jahrzehnten  leidet. Nach gefühlten 300 Seiten beginnt Nadine, ihre Überlegungen, der Sekte den Garaus zu machen, in die Tat umzusetzten. Man könnte denken, die Geschichte gewinnt nun an Fahrt – weit gefehlt. Chevy Stevens gelingt es diesmal so gar nicht, irgendeine Art von Spannung aufzubauen. Nadine fährt überall auf Vancouver Island umher, befragt Fremde und alte Bekannte, sammelt Beweise gegen die Sektenführer, schildert vor allem aber die schöne Landschaft. Nebenbei ist sie auch immer wieder auf der Suche nach ihrer drogenabhängigen Tochter, die nach dem Tod des Vaters völlig auf die schiefe Bahn geraten ist und die meiste Zeit auf der Straße verbringt. Diese und andere Beziehungen werden eingehend analysiert und langweilen ungemein, weil vieles davon gänzlich irrelevant ist und von der eigentlichen Geschichte ablenkt.

Chevy Stevens dritter Thriller ist alles, nur eben kein Thriller. Auf die Spannung wartet man bis zum Schluss und Angst verspürt man nahezu an keiner Stelle des Buches. Vielmehr erwarten den Leser schöne Landschaftsporträts und eine Reihe von Psychogrammen verschiedenster Charaktere und Biographien. Probleme über Probleme werden gewälzt: Kindesmissbrauch, Sektenproblematik, Mord und Todschlag, Drogenabhängikeit, verstorbene Lebenspartner und, last but not least, schlechte Kindheiten – die Autorin hat all das in nur ein Buch gepackt. Man müsste meinen, bei so viel Abgründigem müsste es doch ein Leichtes sein, einen guten Thriller zu schreiben. Aber gerade das scheint hier das Problem zu sein: Das Spektrum an menschlichen Grausamkeiten ist viel zu groß und lässt die Story konstruiert und unglaubwürdig erscheinen. Die sehr flach gehaltene Spannungskurve und das viele Geplänkel drumherum tun ihr übriges. Nicht zuletzt fehlt es vor allem der Hauptfigur an Charakter. So manches Mal hätte ich die viel zu gutmütige und naive Nadine am liebsten mal durchgeschüttelt und ihr befohlen, endlich aufzuwachen.

Man ahnt es schon, ich kann „Blick in die Angst“ nicht weiterempfehlen. Es tut mir fast Leid, das schreiben zu müssen. Vor allem den Chevy-Stevens-Einsteigern rate ich, nicht mit diesem Buch zu beginnen. Oder vielleicht doch? War meine Erwartungshaltung nach den ersten zwei Büchern vielleicht so hoch, dass ich nur noch enttäuscht werden konnte? Wenn dem so wäre, müsste ich als Einstiegslektüre wohl doch dazu raten. Oder ihr lasst das das dritte Buch einfach aus, dann seid ihr auf der sicheren Seite.^^   fg

Verlag: FISCHER Taschenbuch
Erscheinungsjahr: 2013
488 Seiten
ISBN: 978-3-596-19379-0
9,99 €

Gefangene der Angst

PrisonersPrisoners

Keller Dover (Hugh Jackman) führt mit seiner Familie ein beschauliches Leben in der Kleinstadt, bis seine Tochter zusammen mit ihrer besten Freundin an Thanksgiving entführt wird. Es beginnt eine fieberhafte Suche nach den beiden Mädchen, die von dem jungen Polizisten Loki (Jake Gyllenhaal) geleitet wird. Der erste Verdächtige ist schnell gefunden, doch der geistig zurück gebliebene Alex Jones (Paul Dano) wird schließlich aus Mangel an Beweisen freigelassen. Polizist Loki glaubt nicht, dass es sich bei ihm um den Entführer handelt, doch Familienvater Dover ist davon fest überzeugt. Aus Verzweiflung fasst er den Entschluss, auf eigene Faust die Wahrheit herauszufinden und entführt Alex…

Mehr will ich an dieser Stelle zum Inhalt nicht verraten. Prisoners wirft schwierige Fragen zu den Themen Selbstjustiz, Gerechtigkeit, Glaube und Religion auf. Allen voran die Frage, wie weit ein Vater gehen darf, der um seine Tochter fürchtet.

Prisoners ist es über die gesamte Laufzeit von 154 Min. gelungen, mich in den Kinosessel zu bannen. Von der ersten Minute an lag Spannung in der Luft und man hat unweigerlich mit dem Schicksal der Familie mitgefiebert, immer in der Hoffnung, dass am Ende doch noch alles gut wird. Das liegt nicht nur an der spannenden Erzählweise, sondern vor allem auch an den beiden Hauptdarstellern. Große Klasse ist die realistische Darstellung Jake Gyllenhaal´s von Detektive Loki, der alles daran setzt den Fall zu lösen. Loki ist nicht der typische Held: er ist ein Mann mit einer schwierigen Vergangenheit und weiß, dass er nicht jeden Fall lösen kann. Dennoch machen ihm die Vorwürfe von Keller Dover schwer zu schaffen. Hugh Jackman hat in diesem Film endgültig bewiesen, dass er ein sehr guter Charakterdarsteller ist. Den verzweifelten Vater, der an die Grenzen seiner Moral gelangt ist, nimmt man ihm hundertprozentig ab.  Auch Paul Dano als geistig Zurückgebliebener und Maria Bello als Mutter, die ihre Trauer mit Beruhigungsmitteln betäubt, können überzeugen.

Fazit: Prisoners geht an die Substanz und ist einer der packendsten Thriller der letzten Jahre. Für mich einer der Kinohöhepunkte des Jahres 2013.   sk

USA 2013

Laufzeit: 154 Minuten

Regisseur: Denis Villeneuve

Cast: Jake Gyllenhaal, Hugh Jackman, Paul Dano, Maria Bello, Melissa Leo

Genre: Drama, Thriller

Kinostart: 10.10.2013